„Es lebe Europa! Vive l’Europe! Long live Europe!“ – so beendete die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin ihre Bewerbungsrede im Europaparlament. Kräftigen Applaus erhielt sie dafür von den meisten Abgeordneten links der EVP. Worte, die bei einem Großteil der Parlamentarier auf Zustimmung stoßen. Während ihrer Rede machte Von der Leyen dem AfD-Abgeordneten Jörg Meuthen bereits unmissverständlich klar, dass sie keineswegs auf die die Stimmen der Rechtspopulisten bauen würde. Sie wolle diese nicht einmal erhalten. Am Ende wurde es dann doch denkbar knapp. Mit nur neun Stimmen über der benötigten Mehrheit wurde sie zur Kommissionspräsidentin gewählt. Die Rechtspopulisten aus Ungarn und Polen haben ihr dabei, so scheint es, die entscheidenden Stimmen gegeben. Wie aber positioniert sich die neue Chefin der EU zu den zentralen Themen dieser Tage und welche Aussichtschancen haben ihre Ambitionen?

Timmermanns Plan für die Rechtsstaatlichkeit

Von der Leyen will ihren Vize-Kommissionspräsidenten Frans Timmermans in seinem Feldzug gegen Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit unterstützen. Der niederländische Sozialdemokrat wurde nur durch das Einschreiten der osteuropäischen Staaten nicht als Spitzenkandidat aufgestellt. Grund dafür war auch die Tatsache, dass Timmermans als erster Vizepräsident der EU-Kommission auf Rechtsstaatlichkeit in der EU achten musste und prompt Verfahren gegen Polen und Ungarn einleitete. Einen von Timmermans bereits vorbereiteten „jährlichen Überprüfungsmechanismus“ hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit der EU-Mitgliedsstaaten will Von der Leyen auf alle Fälle umsetzen. Die von ihr angestrebte Kürzung von Subventionen als Maßnahme gegen Verstöße hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit, dürfte jedoch wohl kaum umzusetzen sein. Dieses Vorhaben müsste durch den Rat einstimmig bestätigt werden und das wäre wohl kaum im Interesse einiger osteuropäischer Staatschefs.

Alte Muster in der Asylpolitik

Die Forderungen und Pläne Von der Leyens hinsichtlich der Asyl- und Migrationspolitik lassen sich trotz einer großen Ansprache relativ kurz und knapp zusammenfassen: Mehr vom Alten. Fluchtursachen sollen beseitigt, das Schlepperwesen soll bekämpft und die Außengrenzen sollen gestärkt werden. Zudem fordert sie noch immer eine Dublinreform und einen besseren Rahmen für Such- und Rettungseinsätze im Mittelmeer. In Detailfragen hält sie sich jedoch gekonnt zurück. Ihr konkretester Ansatz ist wohl die Aufstockung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex auf 10.000 Grenzschützer. Dieses Vorhaben sollte zuvor bis 2027 umgesetzt werden. Von der Leyen will es bis 2024 schaffen.

Ein CO2-neutraler Kontinent

Die neue Kommissionspräsidentin versprach, dass Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden würde. In den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit möchte sie einen „Green Deal“ für Europa vorschlagen. Emissionen sollen unter ihrer Führung höher besteuert werden, um so einen höheren Druck auf die Industrie auszuwirken. Die Klimaneutralität ist hierbei kein unrealistisches Ziel. Schon auf dem EU-Gipfel Ende Juni gab es Vorstöße, um eine Selbstverpflichtung durchzusetzen. Scheiterte dies damals noch an dem Veto einiger osteuropäischen Staaten, könnte jedoch schon bald ein Kompromiss mit diesen Ländern verhandelt werden. Gefordert werden Kompensationszahlungen für den Abbau der Kohlekraft. Von der Leyen ist hier bereit, den betroffenen Staaten entgegenzukommen.

Arbeitslosenrückversicherung trotz harscher Kritik

Ursula Von der Leyen spricht sich klar für eine europäische Arbeitslosenrückversicherung aus. Gegen die hinlänglich bekannte Position ihrer Partei, der CDU, möchte sie einen Fond eröffnen, welcher in guten Zeiten bestückt werden soll. In unverschuldeten Krisenfällen sollen damit per Darlehen, nationale Arbeitslosensysteme entlastet werden. Kritiker befürchten, dass ein solches Vorhaben immense Transferleistungen zur Folge haben könnte. Frau Von der Leyen hat hier noch eine Menge Überzeugungsarbeit vor sich, auch in den eigenen Kreisen.

Die Vision von einer Bankenunion

Den Gläubigerschutz von Staaten der Europäischen Union erwähnte Frau Von der Leyen nicht in ihrer Rede. Ganz bewusst. Die deutsche Bundesregierung befürchtet, dass deutsche Banken durch ein Einlagensicherungssystem zu häufig zur Kasse gebeten werden, um den Banken in südeuropäischen Ländern wieder auf die Beine zu helfen. Aufgrund der vielen faulen Kredite in den Bilanzen solcher Länder, wird sich die Bundesregierung auf absehbare Zeit nicht von diesem Kurs trennen. Dennoch steht das Einlagensicherungssystem im Arbeitsprogramm von Ursula von der Leyen. Die Zeit wird zeigen, wie weit sie ihre Ambitionen führen.