Geschäftsführer Svetoslav Markov (Humanika, Düsseldorf) über Herausforderungen und Innovationen im System Pflege

Die Pflegedienste der Humanika bieten Dienstleistungen im Bereich Pflege und Betreuung für Menschen mit Unterstützungsbedarf an, wahlweise im eigenen gewohnten Zuhause (im Rahmen ambulanter Versorgung) oder auch in Humanika-Wohngemeinschaften. Ein Gespräch über Humanika Wohnen, zeitgemäße Pflegeangebote sowie zukunftsweisende Aspekte.

Herr Markov, die Zukunft der Pflege und Betreuung ist ein großes Thema, sowohl fachlich als auch politisch. Wie nehmen Sie den Diskurs wahr?

Die Debatten, die geführt werden, finde ich richtig und längst überfällig. Noch besser würde ich es finden, wenn die passende Expertise, genannt seien Vertreter aus der Realwirtschaft – und zwar konkret der Wohnungswirtschaft – und aus der Pflege als auch Politik, sich an einen Tisch setzt und alle Bedarfe in Einklang bringt. Als Beispiel kann ich Ihnen den stationären Sektor nennen: Dieser ist in einer Schieflage geraten und Politik sowie Behörden versuchen immer noch an veralteten Strukturen krampfhaft festzuhalten. Die Bedarfe bei den Kunden ändern sich und somit sollte auch das Konzept mit der Zeit gehen.

Dann ist Pflege also nicht mehr zeitgemäß?

Nein! Zum einen kann man sagen, dass es viel zu wenig passenden Wohnraum gibt, zum anderen hält sich die Innovationsbereitschaft bei den Anbietern sehr in Grenzen. Das liegt im Wesentlichen daran, dass sehr viele Anbieter von Dienstleistungen im Gesundheitswesen, auch stationäre und ambulante Versorger, keine Verantwortung für Innovationen übernehmen möchten.

Können Sie das näher beleuchten?

Was ich damit meine, ist Folgendes: Wenn Sie eine neue Idee haben und diese ausprobieren und umsetzen möchten, gibt es meistens keine gesetzliche Regulierung dafür und schon sehen Sie sich mit vielen Hürden konfrontiert. Sie müssen mit Feuerwehr respektive Brandschutzexperten, Bauordnungsbehörden, WTG-Behörden und sonstigen Institutionen sprechen beziehungsweise eher diskutieren und dann sehr viel Mut beweisen, indem Sie dann einfach mal machen – aber damit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren riskieren, selbst wenn das Angebot, welches Sie geschaffen haben, ein für alle Beteiligten sehr gutes ist. Ähnliche Situationen hatten und haben wir öfters zu meistern. Zum Beispiel möchten wir aktuell die Kurzzeitpflege revolutionieren, indem wir dieses teilstationäre Angebot viel flexibler anbieten und teils ambulantisieren wollen.

Dass aber das stationäre Angebot schon längst nicht mehr den Anforderungen der Ziel- und Interessensgruppe erfüllt und zudem veraltete gesetzliche Anforderungen das Leistungsangebot noch zusätzlich unter Druck stellen, zeigt sich in der aktuellen Insolvenzwelle der Betreiber in diesem Segment.

Wie positioniert sich Humanika im zukunftsweisenden Kontext?

Der erste Humanika Pflegedienst ist 2006 als klassischer ambulanter Pflegedienst gestartet und hat relativ schnell eine beachtliche Größenordnung erreicht. Dieses wurde vor allem damit erzielt, dass wir sehr früh ergänzende Angebote für Angehörige, Betreuer, Krankenhäuser und natürlich auch für die unterstützungsbedürftigen Menschen eingeführt haben. Damals waren es kleine Innovationen; exemplarisch die Schaffung der Möglichkeit der Aufnahme in unsere Versorgung und zwar 24/7/365. Das ist vor allem bei Krankenhäusern, erst recht in der heutigen Zeit, ein sehr attraktiver Faktor. Für Angehörige und Betreuer bieten wir ab den ersten Tag auch ganz alltägliche Dienstleistung wie Taschengeldverwaltung oder kurzfristige Arztbegleitungen – mit 60 Minuten Voranmeldung – sehr flexibel an.

Auch haben wir schnell erkannt, dass es in diesem Segment nur sehr schwer ist, ein skalierbares Geschäftsmodell aufzubauen, zumal wir immer wieder vor Schwierigkeiten und Herausforderungen gestellt wurden.

Herausforderungen welcher Art?

Gemäß dem Motto „Pflege, die Sie Mensch sein lässt“, haben wir im Jahr 2007 die erste Wohngemeinschaft für Menschen mit Unterstützungsbedarf in Dortmund initiiert. Zum damaligen Zeitpunkt war ein solches Wohnangebot gesetzlich noch nicht klar geregelt. Erste Gespräche mit der Heimaufsicht führten dazu, dass wir „unter uns“ definieren mussten; was stellt eine solche Wohngemeinschaft genau dar? Denn es ist kein Heim und auch kein klassisches Betreutes Wohnen, aber irgendetwas dazwischen. Mit der Novellierung des WTG-NRW im Jahr 2014 wurde das Wohnangebot „Wohngemeinschaft“ dann auch gesetzlich verankert.

Rückblickend kann ich sagen, dass es eine Pionierarbeit war, dieses Angebot für die Menschen mit Unterstützungsbedarf zu ermöglichen.

Wie flexibel gestalten sich die Humanika Wohnangebote?

Wir haben den Markt genau recherchiert und mussten feststellen, dass es im Betreuten Wohnen durchaus Hürden für Interessenten gibt. Wenn ich als Kunde in eine Betreute Wohnanlage einziehen möchte, muss ich mindestens den Pflegegrad 1, oft sogar mindestens Pflegegrad 2, haben und wenigstens ein Servicepaket für durchschnittlich 140 Euro monatlich buchen. Das sind keine zeitgemäßen Angebote mehr. Ich ziehe gerne den Vergleich zum Aspekt Mobiltelefon: Sie möchten sich ein neues Handy kaufen, bekommen dieses aber nur in Kombination mit einem mehrjährigen Mobilfunkvertrag, den Sie aber nicht wollen oder gar benötigen. Ob der Mensch im Betreuten Wohnen ein monatliches Servicepaket wirklich braucht, das sollte jeder für sich allein entscheiden. So etwas darf keine Pflicht sein.

Bei Humanika gibt es keine Mindestanforderungen, die jemand erfüllen muss, genau so wenig gibt es verpflichtende Pakete. Verbindlich ist lediglich die Miete, alle anderen Leistungen sind freiwillig und einzeln zubuchbar sowie jederzeit wieder abzubestellen.

Der Schwerpunkt der Wohngemeinschaften liegt in der Begleitung von dementiell veränderten Menschen. Richtet sich das Wohnangebot auch an andere?

Das Angebot richtet sich aktuell ausschließlich an dementiell veränderten Menschen. Kulturell bedingt gibt es für ein „gemischtes Gemeinschaftswohnen“ in Form von Wohngemeinschaft keine wirkliche Nachfrage. Dieses wird sich aber mit dem Eindringen der neuen Zielgruppe, nämlich die Baby-Boomer-Generation respektive Silver-Society, ändern. Das entsprechende Konzept, angepasst an die modernen Lebensanforderungen, haben wir bereits erarbeitet – zwei neue Standorte sind nach diesem neuen Konzept in konkreter Umsetzung.

Sie betonen menschenwürdiges Pflegen und Arbeiten. Beinhaltet das Humanika Konzept neben ethischen und humanen Attributen auch technologische Gesichtspunkte?

Bei uns ist ein Mitarbeiter für bis zu sechs Menschen verantwortlich. So gewährleisten wir, dass jeder Mitarbeiter genügend Zeit hat, also ohne Stress und Hektik, sich auf jeden Menschen individuell einzustellen und diesen nach seiner Biografie, seinen Vorlieben, Wünschen und Bedürfnissen, die Begleitung im Alltag zu erbringen.

Bei Humanika rücken wir auch unsere Beschäftigten in den Fokus. Die Vorstellungen und Anforderungen der Arbeitnehmer haben sich ebenfalls stark verändert. Beispielhaft kann ich benennen, dass keiner mehr gewillt ist, unter permanenten Stress zu arbeiten.

Mit einer ausgeklügelten Sensorik der Firma Divital unterstützen wir unsere Mitarbeitenden auch bei vielen alltäglichen Abläufen und gewährleisten damit unseren Bewohnern noch mehr Sicherheit. Die Sensorik erfasst Gewohnheiten, erkennt frühzeitig Sturzgefahren, Dekubitusgefahren und warnt bei Auffälligkeiten die zuständigen Fachkräfte. Dies wird ermöglicht, weil die Künstliche Intelligenz im Hintergrund alle Parameter auswertet, überwacht und intelligent Hilfe anfordert.

Modernität und Innovation zählen für Sie also zur Zukunft der Pflege?

Da Fachkräfte für unseren Bereich immer weniger werden, müssen wir uns alle die Frage stellen, wie wir trotz fehlender Manpower noch für ausreichend Sicherheit und Präsenz sorgen können. Und eine weitere Frage, die zu beantworten wäre, ist, ob die zukünftige Zielgruppe permanent von „fremden“ Menschen umgeben sein möchte? Oder geht der Wunsch eher dahin, dass intelligente Sensorik für die Sicherheit sorgt und nur im Notfall Hilfe anfordert?

Und wie wird Humanika Wohnen respektive die Humanika Angebote angenommen?

Sehr gut. Wir haben eine enorme Nachfrage, so dass wir auch beschlossen haben, keine Wartelisten mehr zu führen. Alle Leistungen, die wir anbieten, sind zeitgemäß und erfüllen die Anforderungen aller Kunden; also Bewohner, Angehörige, Betreuer, Krankenhäuser. Die Anforderungen werden jährlich evaluiert, neue Wünsche analysieren wir und versuchen sie zu realisieren.

Herr Markov, wir danken für dieses Interview.


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