Nicht nur in Deutschland, sondern auch im Nachbarland Schweiz werden Änderungen und Erweiterungen des Sexualstrafrechts besonders heiß und kontrovers diskutiert. Die von vielen Seiten erhoffte Änderung zum Grundprinzip „Nur Ja heißt Ja“ ist allerdings vorerst gescheitert. Die Rechtskommission des Schweizer Ständerates hat sich stattdessen für einen Mittelweg entschieden.

Fortschritte im Schweizer Sexualstrafrecht

Diese Rechtskommission hat im Februar 2022, nachdem zwei Jahre zuvor beschlossen wurde, das Schweizer Sexualstrafrecht zu verschärfen und den heutigen Lebensgewohnheiten der Menschen anzupassen, diverse Vorschläge in einem Zwischenentscheid vorgestellt. Schnell hat sich abgezeichnet, dass die ohnehin schon kontrovers geführte Debatte über Änderungen im Sexualstrafrecht und der Frage, was als sexuelle Vergewaltigung gewertet werden muss, noch weiter angeheizt werden dürfte.

Allerdings gab es an anderen wichtigen Stellen auch Einigkeit. So wird der Tatbestand der Vergewaltigung in Zukunft geschlechtsneutral definiert. Zuvor konnten aus rechtlicher Sicht nur Frauen Opfer einer Vergewaltigung werden, nun wird anerkannt, dass zum Beispiel auch Männer vergewaltigt werden können.

Auch beim Verzicht auf ein Nötigungselement beim Geschlechtsverkehr waren sich alle involvierten Parteien einig. Das Eindringen in den Körper der anderen Person gegen ihren Will ist in Zukunft auch dann als Vergewaltigung zu werten, wenn es nicht zur Gewalteinwirkung seitens des Täters oder der Täterin kommt. Das Opfer „muss“ sich also nicht zwangsläufig wehren, um den Tatbestand als Vergewaltigung werten zu können. In diesem Fall droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.

Zukünftig fällt darunter auch das sogenannte Stealthing. Darunter versteht man, dass ein Kondom während des eigentlich einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs ohne das Wissen der anderen Person heimlich entfernt.

Der Wegfall des Nötigungsaspekts betrifft in Zukunft sexuelle Handlungen gegen den freien Willen auch ohne ein direktes Eindringen in den Körper. Wird das Opfer bei einem sexuellen Übergriff zudem bedroht, unter Druck gesetzt oder körperlich und / oder psychisch attackiert, erhöht sich die Obergrenze einer möglichen Freiheitsstrafe sogar auf zehn Jahre.

Ist ein Nein wirklich genug?

Doch spätestens dann enden Einigkeit und Geschlossenheit. Die Kommissionsmitglieder sind in Hinblick darauf, wie das Opfer eines sexuellen Übergriffs seinen Willen verdeutlichen und zum Ausdruck bringen muss, nicht einer Meinung. Letztlich wurde am Ende mit neun zu vier Stimmen für den bekannten „Nein heißt Nein“-Ansatz und gegen „Nur Ja heißt Ja“ gestimmt. Die Mehrheit der Kommission ist folglich der Meinung, dass es sich erst dann um eine Vergewaltigung handle, wenn der Täter sich über einen geäußerten beziehungsweise demonstrierten Willen, ob nun verbal oder nicht verbal, hinwegsetze.

Der Minderheit geht die „Nein heißt Nein“-Lösung allerdings nicht weit genug. So sollte vor dem Eindringen des Sexualpartners ein klares Ja, eine eindeutige Zustimmung notwendig sein. Ohne dieses Einverständnis, welches entgegen anderslautender Äußerungen nicht unbedingt ausdrücklich oder gar schriftlich erfolgen muss, könnte eine sexuelle Handlung im Nachhinein als Vergewaltigung interpretiert und entsprechend rechtlich verfolgt werden.

Die Befürworter des „Nein heißt Nein“-Ansatzes betonen, dass die Frage, was genau vorgefallen sei und warum sich ein Opfer nicht gewehrt habe beziehungsweise wehren konnte, nach wie vor höchste Priorität habe. Ansonsten seien rechtlich tragbare Anklagen und Urteile nicht möglich. Zudem gelte nach wie vor zunächst einmal die Unschuldsvermutung. Die Gerichte müssten Verdächtigen ein begangenes Fehlverhalten nachweisen können. Durch eine Abkehr zum „Nur Ja heißt Ja“-Prinzip und Zustimmungen zum Geschlechtsverkehr, ob nun in mündlicher oder schriftlicher Form, würde so oder so keine Beweislastumkehr gegenüber möglichen Täterinnen und Tätern stattfinden.

Mehr ein Jein als eine eindeutige Entscheidung

„Nein heißt Nein“ wird also von der Mehrheit der Rechtskommission des Schweizer Ständerats oder Schweizer Staatsanwälten auch in Zukunft als ausreichend gewertet. Die erwartbaren kontroversen Diskussionen über das Thema sind hinlänglich, nicht nur in der Schweiz, geführt worden und werden auch in Zukunft nicht verschwinden.

 

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