Es wäre die große Chance für den grünen Investmentmarkt in Europa gewesen: Die EU stellt über ihre Taxonomie-Verordnung verlässliche Leitlinien für nachhaltiges Investieren zur Verfügung und fördert damit die Bemühungen zum Erreichen der internationalen Klimaziele. Doch zunehmend verliert sich die europäische Verwaltung in Klientel- und Lobbypolitik. Jüngste Fehlleistung: die Aufnahme fossilen Luft- und Schiffsverkehrs in die Liste nachhaltiger Investments. Gründlicher kann man das eigene Renommee nicht zerstören.
Das Vorhaben der EU-Kommission, Schiffe und Flugzeuge mit fossilem Antrieb unter bestimmten Voraussetzungen als nachhaltig zu definieren, erscheint auf den ersten Blick wie ein Stück aus dem Tollhaus, wirkt dann allerdings seltsam vertraut. Ein Kabinettstückchen gleichen Kalibers hat die Kommission sich bereits vor einigen Monaten geleistet, als sie Kernkraft als nachhaltige Energie einstufte. Noch befindet sich der Vorschlag in der Planungsphase, doch die Hoffnungen sind gering, dass er nicht in die EU-Taxonomie einfließen wird.
EU und Nachhaltigkeit: keine verlässliche Instanz
Das Entsetzen der Umweltverbände über den neuen Plan der EU-Kommission darf nicht verwundern. Noch mehr als bei der Kernkraft, die ja zumindest ein funktionales Argument auf ihrer Seite hat, scheint bei dem erneuten Vorstoß zugunsten fossil betriebener Schiffe und Flugzeuge der Einfluss der Lobbyverbände derart deutlich durch, das die Glaubwürdigkeit der EU in Sachen Nachhaltigkeit auf einen neuen Tiefststand sinkt.
Dass nachhaltiges Investieren zu den größten Chancen gehört, den Planeten zu retten, dürfte mittlerweile zum allgemeinen Wissensgut gehören. Doch Green Invest benötigt zuverlässige Bewertungs- und Klassifizierungsnormen, herausgegeben von vertrauenswürdigen Institutionen. Die EU katapultiert sich derzeit selbst aus diesem Kreis. Die Aufnahme fossiler Schiff- und Luftfahrt in den Nachhaltigkeitskatalog dürfte der letzte Sargnagel für die Taxonomie sein – so zumindest formulieren es die Sprecher mehrere Umweltorganisationen.
Vorgaben zur Bauart bringen nur marginale Vorteile
So stellt sich die EU-Kommission grünen Schiffs- und Luftverkehr vor: Sind Schiffe und Flugzeuge mit fossilen Antrieben der neuesten Bauart ausgerüstet, gelten sie als nachhaltig und finden Eingang in die Taxonomie. Das Problem dabei: Auch modernste Antriebe sind hochkarätige CO2-Schleudern. Die Einsparung an Emissionen gegenüber älteren Antrieben beträgt höchstens 15 bis 20 Prozent. Eine Bewertungsinstanz, die das als grün definiert, verliert jede Autorität zur Klassifizierung von Nachhaltigkeit.
“Auf diese Weise fließen Millionen von Euro an einige der größten Umweltverschmutzer Europas wie Airbus, Ryanair und MSC”, sagt dazu ein Sprecher von Transport and Environment, einer NGO für Verkehrsfragen, zu dem neuesten Husarenstück der EU-Kommission. Besonders fragwürdig ist der Entwurf angesichts der darin enthaltenen Grenzwerte. Sie deuten auf massiven Einfluss von Interessengruppen hin.
Taxonomie richtet sich nach der Realität – statt andersherum
Es fällt auf, dass bereits heute etwa 90 Prozent der Airbus-Flotte die Grenzwerte des Taxonomie-Entwurfs einhält – ohne jegliche Veränderungen. Bei Easyjet wären rund 59 Prozent der Flugzeugflotte im grünen Bereich. Damit erledigt sich auch das Hauptargument der Befürworter der jüngsten Taxonomie-Ausweitung: Die Vorgaben sollen Hersteller dazu motivieren, mehr in umweltfreundliche Technologien zu investieren.
Zum einen bleibt von Motivation nicht viel übrig, wenn die bereits vorhandenen Antriebe alle Voraussetzungen erfüllen. Zum anderen bleibt eine unumstößliche Tatsache bestehen: Trotz Verbesserungen bei fossilen Schiffs- und Flugzeugantrieben sind die Gesamtemmissionen um etwa 29 Prozent gestiegen. Das lässt nur eine Deutung zu: Die Zukunft der Schiff- und Luftfahrt liegt nicht im fossilen Bereich.
Der erneute Kniefall der EU vor industriellen Interessen macht die Rolle von Ratingagenturen noch wichtiger als zuvor. Ihnen kommt die Aufgabe zu, objektive und belastbare Daten zur Bewertung nachhaltiger Investments bereitzustellen. Von der EU ist in dieser Hinsicht auf absehbare Zeit nicht mehr viel zu erwarten.
Jahrgang 1981 aus Straßbourg, ist als freier Journalist für verschiedene Online-Medien in ganz Europa unterwegs – Schwerpunkte sind die Bereiche Finanzen, Immobilien und Politik. Seine fachliche Expertise sammelte er als Berater für Global Player sowie Mittelständler. Fournier studierte Wirtschaft und Deutsch in Paris und Dresden. Zur Zeit lebt er im Saarland und verstärkt seit Anfang 2019 das Euro Leaders-Team.