Bei der Wahl des neuen Ministerpräsidenten Thüringens im Februar 2020 hätte sich die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht negativ über das Wahlergebnis äußern dürfen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gibt damit der umstrittenen rechtspopulistischen Partei AfD nach deren Klage recht. Einstimmig gefällt wurde das Urteil vom BVerfG nicht.

Bei der Wahl zum thüringischen Ministerpräsidenten hatte der damals amtierende Bodo Ramelow von der Linkspartei in den ersten beiden Wahlgängen die absolute Mehrheit verfehlt. Im dritten Wahlgang trat plötzlich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich an und gewann mit den gemeinsamen Stimmen der FDP, CDU – und der AfD.

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel gab am folgenden Tag eine Pressekonferenz in Südafrika und nannte die Tatsache, dass die CDU mit der AfD gemeinsame Sache und für Thomas Kemmerich gestimmt hatte, unverzeihlich. Das Wahlergebnis müsse annulliert werden. Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland fühlte sich durch die Aussagen Merkels extrem verletzt und diskriminiert, weswegen sie beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klage gegen die damalige Bundeskanzlerin einreichte.

Hat Angela Merkels Aussage die Verfassung verletzt?

Bei der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe Mitte Juni 2022 bekam die AfD nun recht. Merkels Aussagen hätten die rechtspopulistische Partei in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt. Doris König, Vizepräsidentin des BVerfG und Vorsitzende des zweiten Senats dazu: „Da die Äußerung in einseitig parteiergreifender Weise negative Qualifizierungen der AfD beinhaltet, stellt sie sich als Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit der Antragstellerin im politischen Wettbewerb dar. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.“

Schon in der Vergangenheit hatte das BVerfG in Karlsruhe entschieden, dass Ministerinnen und Minister zu absoluter Neutralität verpflichtet sind, wenn diese sich als Regierungsmitglied in der Öffentlichkeit äußern. Ergo müssen sie sich auch gegenüber sämtlichen Parteien gegenüber neutral verhalten, auch wenn diese an den äußeren Rändern des politischen Spektrums stünden. Mit dem Urteil der Klage der AfD legt das Bundesverfassungsgericht nun fest, dass dieser Grundsatz auch für Kanzlerinnen und Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gilt.

„Weder der Hinweis darauf, eine Vorbemerkung ‘aus innenpolitischen Gründen‘ zu machen, noch der Inhalt der Äußerung lassen hinreichend klar erkennen, dass sich Frau Dr. Merkel nicht in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin, sondern ausschließlich als Parteipolitikerin äußern wollte. An einer dahingehenden Klarstellung fehlte es“, so Doris König weiter. Die Äußerung Merkels wäre geduldet worden, wenn sie klar getrennt als Parteipolitikerin und eben nicht als Trägerin des Amtes der Bundeskanzlerin aufgetreten wäre. Dies sei aber nicht geschehen, so das Bundesverfassungsgericht.

Dissens unter den Richtern des Bundesverfassungsgerichts

Mit einem Endergebnis von 5:3 fand die interne Entscheidung der acht Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe alles andere als einstimmig aus. Die Richterin Astrid Wallrabenstein gab ein schriftliches Sondervotum ab und ist der Meinung, dass die ehemalige Kanzlerin keinen Verfassungsverstoß begangen hat. „Äußert sie sich zu politischen Fragen, unterliegt der Aussagehehalt keiner Neutralitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht“, so Wallrabenstein.

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