Die Nachricht der Bankenaufsichtsbehörde BaFin Anfang Mai löste zunächst Unruhe aus: Wegen der Invasion Russlands in sein Nachbarland müsse die geplante ESG-Einstufung von Investmentfonds auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Für eine dauerhafte Regulierung sei das derzeitige Umfeld “nicht ausreichend stabil”, so die Behörde. Nur einen Monat später zeigte sich im Zusammenhang mit den Ermittlungen zur DWS-Affäre, von welch grundlegender Bedeutung eine eindeutige ESG-Einstufung für die Qualität von Anlageprodukten ist.

Eine aussagekräftige, belastbare und auf objektiven Fakten beruhende Klassifizierung von Investments in Hinblick auf die ESG-Kriterien wird auch bei privaten Anlegern immer mehr zu einer zentralen Qualitätsmarke, wenn es um die Kombination aus hohen Standards bei Umwelt- und Sozialbewusstsein sowie bei Renditeerwartungen und Sicherheit geht. Das macht ESG-Produkte sozusagen zu Markenartikeln auf dem nachhaltigen Fintech-Markt.

Unterscheidung zwischen braun und grün von zentraler Bedeutung

Die unmissverständliche Abgrenzung zwischen braunen und grünen Fonds gewinnt zunehmend an Bedeutung. Das ist der Tenor des Jahresberichts für 2021 der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA. Dabei gelten braune Fonds als Produkte mit dem Fokus auf umweltschädlichen Vermögenswerten und grüne Fonds als Portfolios mit nachhaltigen Werten.

Angesichts der äußeren Bedingungen haben beide Varianten im untersuchten Jahr Verluste eingefahren. Markant ist allerdings der Unterschied bei der Höhe: Während braune Fonds zwischen 9 und 18 Prozent hinnehmen mussten, kamen grüne Fonds mit Verlusten zwischen 3 und 8 Prozent davon.

Der ESMA-Bericht belegt zudem, dass die grundsätzliche strategische Zielsetzung nachhaltiger Investments tatsächlich erreicht wurde. Durch die ESG-Vorgaben animiert, haben erheblich mehr Unternehmen ihre CO2-Emissionsdaten offengelegt als zuvor. Zudem haben Unternehmen, die in grünen Fonds enthalten sind, ihren CO2-Fußabdruck spürbar deutlicher reduziert als Unternehmen in braunen Fonds.

Erhebliches Ausbaupotential bei Privatkunden

Wie die ESMA-Erhebung belegt, liegen private Anleger bei der Entscheidung für nachhaltige Investments gegenüber Großanlegern noch zurück. Hier präsentiert sich ein noch weitgehend unerschlossener Markt. Der Grund für die Zurückhaltung bei den privaten Kunden ist nicht etwa das Fehlen geeigneter Produkte. Vielmehr stellt sich der Wissensstand bei Privatpersonen als noch ausbaufähig dar.

Noch rangiert bei Privatpersonen das Thema Nachhaltigkeit bei ihren Anlageentscheidungen erst an zweiter Stelle. Bei etwa zwei Dritteln fällt die endgültige Entscheidung in der Regel vor allem nach Begutachtung der Rendite und des Potentials für die Vermögensbildung. Nur 13 Prozent der Privatanleger haben bei ihrer Investmentstrategie auch die Lenkungswirkung ihrer Entscheidung für Umwelt und soziale Gerechtigkeit im Fokus.

Aufgrund noch unzureichender Information und Beratung glaubt die Mehrzahl privater Investoren nicht daran, dass ihre Anlageentscheidung maßgeblichen Einfluss auf die Wirtschaft hat. Auch gibt es die unbegründete Befürchtung, dass die Hinwendung zu ESG-Kriterien mit Abstrichen bei der Rendite verbunden ist.

Immense Wachstumschancen für Banken und Vermögensberater

Derzeit bringen erst rund ein Drittel der privaten Anleger nachhaltige Investments mit guten Renditen und hoher Sicherheit in Verbindung. Dem steht eine hohe mentale und emotionale Bereitschaft für grünen Themen gegenüber. So sehen Privatanleger nachhaltige Investments zu 66 Prozent innovativ, zu 64 Prozent sympathisch und zu 58 Prozent wirksam.

Anlageberater finden also einer Klientel vor, die im Grunde eine hohe Akzeptanz für ESG-konforme Anlageformen mitbringt, allerdings noch durch unbegründete Ängste und Befürchtungen blockiert ist. Durch individuelle, einfühlsame und zielgerichtete Beratung dürften sich diese Widerstände problemlos überwinden lassen.

Für Finanzdienstleister und Banken bedeutet das noch eine große Menge an Aufklärungsarbeit im privaten Segment. Doch der Aufwand dürfte sich lohnen: Bei der grundsätzlich positiven Einstellung der privaten Anleger gegenüber nachhaltigen Investments rennen Berater buchstäblich offene Türen ein, wenn sie noch zögerlichen Interessent*innen die Skepsis gegenüber ESG-Produkten nehmen. Das Ergebnis ist der riesige, noch weitgehend unerschlossene Markt der privaten Anleger.

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