Das klassische Modell der Geschäftsbanken (Einlagengeschäft, Kreditgeschäft) durchläuft eine schwere Zeit – und sie könnte noch schwerer werden. Die Rede ist von einer Disruption der Branche, d.h. von derart tiefgreifenden Veränderungen, dass man die Dienstleistung und die Produkte nach Ende des Prozesses nicht mehr widererkennen wird – wenn es sie denn überhaupt noch geben sollte. Aber immerhin: es wird auch in absehbarer Zukunft Bedarf an Krediten und an einem Aufbewahrungsort für Geld geben. Doch werden das dann noch Banken sein, die diesen Bedarf decken?
Branchenvertreter beteuern, dass der Bankensektor in Deutschland stabil sei – dank der erheblichen Rücklagen. Doch Rücklagen helfen nur durch eine zeitlich begrenzte Krisenperiode, sie ersetzen kein Geschäftsmodell. Das Zinsdifferenzgeschäft zumindest ist wenig aussichtsreich, wenn es Zinsen kaum gibt – Zinsen für Immobilienkredite liegen bereits jetzt unterhalb der Inflationsrate. Wirklich lange wird das kaum gut gehen können. Und es geht schon recht lange so.
Sehen wir uns die Faktoren an, die das bisherige Modell infrage stellen:
- strukturell
– Niedrigzinspolitik der Zentralbanken
– die rapide Entwicklung der FinTech
- akut
– Entwöhnung der Kunden vom Filialnetz durch die „Zwangsdigitalisierung“ durch das Corona – Ereignis
– Kreditausfälle durch das Corona – Ereignis
Um gleich auf den Punkt zu kommen: werden die klassischen Geschäftsbanken mit einem Filialnetz das überleben?
Die Antwort lautet: kurzfristig die meisten, mittelfristig einige, langfristig nein.
Die kurzfristigen Effekte von Corona werden die meisten Banken überstehen, Kreditausfälle werden jedoch einigen zu schaffen machen. Das sind jedoch überschaubare, nicht strukturelle Schwierigkeiten, über die auch die öffentliche Hand hinweg helfen kann. Dennoch: einige Banken werden ausscheiden oder den Besitzer wechseln.
Die mittelfristige Perspektive
Die mittelfristige Perspektive wird vom Wandel gekennzeichnet sein. Die ältere Generation sowie ein Teil der Boomer – Generation wird nach wie vor die Leistungen der klassischen Geschäftsbank entgegennehmen wollen, hier wird auch ein Filialnetz noch geschätzt, und auch bezahlt. Der Anteil des Publikums wird jedoch über die kommenden 20 Jahre stark abnehmen und von den Technikgewohnten Millennials und der Generation Z abgelöst. Doch auch für die Boomer und Teile der älteren Generation spielt das Corona-Ereignis eine Katalysatoren-Rolle: man ist es nun gewohnt, Geschäfte vom Computer aus zu machen, auch Bankgeschäfte.
Hier werden die Banken weiterhin reagieren, wie sie bereits zu reagieren gewohnt sind: Ausdünnung des Filialnetzes, Abbau von Arbeitsplätzen, Erhöhung und Schaffung von gebühren für Dienstleistungen, Ausweitung von Verwahrentgelten („Negativzinsen“). – und (bestenfalls) zunehmende Digitalisierung auf Nutzer – Seite, Kooperation mit FinTechs. Es ist mit einer erheblichen Reduktion der Anzahl der Geschäftsbanken auszugehen, von derzeit ca. 1600 in Deutschland auf vielleicht 300 – 400.
Die langfristige Perspektive
Die langfristige Perspektive: wenn in 20 Jahren der Anteil technikgewohnter Menschen dominiert, AI und Blockchain Alltagstechnologien geworden sein werden, wird die nichtvirtuelle Bank ein Nischenanbieter geworden sein. Bereits jetzt kann man seinen gesamten privaten wie geschäftlichen Giroverkehr und Spar- / Investitionsbedarf über rein elektronische Lösungen abbilden. Für die Generation Z wird jedes Routine-Geschäft, das nicht online abzuwickeln ist, als Belastung empfunden. In innovativen Volkswirtschaften kann man auch schon Immobilienkredite ohne Präsenz abwickeln (Better.com u.a.). Inzwischen ist fast alles über Fintech-Tools vom Smartphone aus machbar. Es ist nur noch nicht alles überall üblich. Aber was möglich ist, wird auch passieren. Heute mag ein Geschäftspartner noch die Nase rümpfen, wenn die Bankverbindung des Gegenübers einen Zahlungsdienstleister wie Transferwise oder Revolut ausweist – so wie es vor 15 Jahren noch als verdächtig galt, nur eine Mobiltelefonnummer auf dem Geschäftspapier anzugeben.
Was für Assets hat eine Bank, die ein digitaler Dienstleister nicht substituieren kann? Eine aufsichtsrechtliche Genehmigung kann man auch für digitale Geschäftsmodelle erhalten.
Dennoch wird es immer Banken-Funktionen geben, wie es auch immer Transportmittel geben wird. Vorgestern der Ochsenwagen, gestern die Dampflok, heute das Elektromobil.
So werden die Bankenfunktionen (Einlagengeschäft, Depotgeschäft, Kreditgeschäft und Vermögensverwaltung) dem Kunden weiterhin zur Verfügung stehen. Es sind nicht zuletzt auch Leistungen der Daseinsvorsorge, das Geld muss zu den Menschen kommen. Es muss auch von A nach B kommen. Auch in einem Umfeld, in dem die Zentralbank große Geldmengen in Umlauf bringen muss, bedarf es Plattformen, über die das geschieht. Nicht zuletzt wird der Staat ein Interesse daran haben, zumindest einige Banken zu erhalten, die eine Geldverteilungsfunktion übernehmen werden, um die Zentralbanken damit nicht zu belasten.
Dann werden die Elemente in klassischer Form noch sehr lange überleben, die in den Sektor „people business“ fallen – Sektoren in denen Vertrauen und vertrauliche Kommunikation so wichtig sind, dass eine Automatisierung weder effektiver noch gewünscht ist. So werden das Konsorzial- und Emissionsgeschäft, wie auch große Kredite noch auf absehbare Zeit persönlich verhandelt werden – doch alles, was sich im Routine- oder Retail- Bereich abspielt, wird fast ausschließlich digital ablaufen.
Fazit
Und schließlich – was kann man schon sagen in einer Welt, in der in einem Horizont von mehr als 5 Jahren fast gar nichts gewiss ist? Wir wissen nicht, ob ein Bitcoin in 10 Jahren eine Million Dollar wert sein wird oder gar nichts, ob Gold um das x-fache steigen oder verboten sein wird, ob es noch Bargeld außerhalb der Alben der Sammler geben wird. Auch der Niedrigzins wird nicht ewig bleiben. Derzeit scheint die Niedrigzinspolitik vielen als auf absehbare Zeit gesetzte Größe, weil die Staaten sich bei einer Zinsanhebung der Notenbanken selbst in große finanzielle Schwierigkeiten brächten. Doch die Staaten haben viel, aber nicht alles in der Hand. Wird man die Zinsen auch dann niedrig halten können, wenn auch eine Konsumgüterinflation einsetzen sollte – und was wären die Folgen?
So heißt es daher auch: Sage niemals nie; auch das Elektromobil gab es schon vor über 120 Jahren (mit einem Marktanteil von damals fast 40%) – es setzte sich jedoch ebenso wie das Dampfauto nicht gegen den Verbrennungsmotor durch – zu ineffizient. Heute ist es wieder da.
Über Dr. jur. Gero Kollmer
Dr. jur. Gero Kollmer ist ein deutscher Rechtsanwalt, Vorstand und Geschäftsführer, der den Fachanwaltstitel für Bank- und Kapitalmarktrecht führt. Dr. Kollmer ist sowohl als Einzelanwalt als auch Berater für Unternehmen im Rahmen von M&A – Projekten tätig. Dr. Kollmer begann seine Berufstätigkeit als Rechtsanwalt 1999.
Dr. jur. Gero Kollmer ist unter anderem stellvertretender Verfassungsrichter des Hessischen Staatsgerichthofs und war Mitglied in diversen Aufsichts- und Verwaltungsräten. Des Weiteren ist er freier Berater verschiedener Legal-Consulting-Gesellschaften im Legal-Tech- und Marketing-Bereich tätig und hält Vorträge in der Rechtsanwaltsfortbildung für Bankrecht. Er ist als Autor an mehreren juristischen Kommentaren beteiligt.
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Weblinks
https://www.der-bank-blog.de/geschaeftsmodell-der-zukunft/lesenswert/37669293/
https://www.growthgorilla.co.uk/blog/how-fintech-is-disrupting-banking
https://www.interhyp.de/ratgeber/was-muss-ich-wissen/zinsen/zins-charts.html?pid=1163&wmid=161
Jahrgang 1981 aus Straßbourg, ist als freier Journalist für verschiedene Online-Medien in ganz Europa unterwegs – Schwerpunkte sind die Bereiche Finanzen, Immobilien und Politik. Seine fachliche Expertise sammelte er als Berater für Global Player sowie Mittelständler. Fournier studierte Wirtschaft und Deutsch in Paris und Dresden. Zur Zeit lebt er im Saarland und verstärkt seit Anfang 2019 das Euro Leaders-Team.