Vor mehr als fünf Jahren, am 19. Januar 2017, gab der deutsche Bundestag medizinisches Marihuana in Form von Cannabis auf Rezept offiziell frei. Seitdem können Ärztinnen und Ärzte Cannabisblüten und bestimmte Cannabinoide auf Rezept verordnen. Zeitgleich startete eine vom Gesetzgeber beauftragte Begleiterhebung zur Verordnung von Cannabis. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat nun den Abschlussbericht der fünfjährigen Erhebung veröffentlicht.
Laut der Erhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird Cannabis in drei von vier Fällen zur Behandlung starker chronischer Schmerzen eingesetzt. Weitere genannte Symptome sind Spastik oder Anorexie. Auch Menschen mit multipler Sklerose, der chronischen Darmentzündung Morbus Crohn, Diabetes mellitus oder ausgeprägten Angst- und Schlafstörungen können mit medizinischem Marihuana behandelt werden.
Allerdings ist es bei den behandelten Patienten wichtig, die medizinische Vorgeschichte mit sämtlichen Vorerkrankungen zu kennen. Denn Cannabis kann auch die Auswirkungen von Psychosen, sofern in der Vergangenheit erkannt, verstärken. Zudem dürfen Ärztinnen und Ärzte medizinisches Cannabis nur dann verschreiben, wenn kein anderes Medikament und andere alternative Behandlungsmethoden eine Schmerzlinderung erreichen konnte. Bei Cannabis muss außerdem die Aussicht bestehen, dass Schmerzen und schwerwiegende Symptome eben nur dieses gelindert werden können.
Medizinisches Cannabis als „letzte Hoffnung“ zur Schmerzlinderung
Viele der mit medizinischem Cannabis behandelten Symptome stünden laut Abschlussbericht der BfArM im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung. Neben Schmerzen wurden in diesem Zusammenhang auch starke Übelkeit und Erbrechen sowie deutliche Gewichtsverluste und ein eingeschränkter oder nicht mehr vorhandener Appetit genannt. Laut Bericht sei die Quote der Behandlungsabbrüche relativ gering gewesen, obwohl häufig Nebenwirkungen auftraten und bei der Erhebung angegeben wurden. Bei denen, welche die Behandlung mit medizinischem Cannabis abgebrochen haben, wurde als primärer Grund eine nicht ausreichende oder gar nicht wahrnehmbare Linderung der Schmerzen und Beschwerden genannt.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) teilt im abschließenden Bericht der vom deutschen Gesetzgeber in Auftrag gegebenen Begleiterhebung mit, dass in den vergangenen fünf Jahren anonymisierte Daten zu etwa 21.000 Behandlungsfällen eingegangen sind. Diese Informationen seien wichtig, um präzisere Daten zu möglichen Anwendungsfällen von medizinischem Cannabis, Behandlungserfolgen oder auch aufgetretenen Nebenwirkungen zu erhalten. Die Krankenkassen setzen bei der generellen Kostenübernahme voraus, dass die alternativen Cannabis-Medikamente Krankheitsverläufe nachweislich und spürbar positiv beeinflussen. Zudem sei die mit Cannabis behandelte Person laut Bericht im Durchschnitt 57 Jahre alt und primär weiblich.
Ein guter Start für medizinisches Cannabis – mit Sorgen und Hindernissen
Im Umfeld des Abschlussberichts und der Behandlung mit medizinischem Cannabis im Allgemeinen gibt es allerdings nicht nur positive Meldungen. So gebe es laut BfArM eine klare Meldelücke von Seiten der Ärztinnen und Ärzte, vor allem von Seiten der Hausärzte. Trotz Meldepflicht liegen, so das Bundesinstitut, letztlich Daten für weniger als 50% sämtlicher behandelten Personen vor. Etwa 52 Prozent der übermittelten Angaben stammten von Ärztinnen und Ärzten aus der Anästhesie – der Anteil an den medizinischen Verordnungen, also dem konkreten Verschreiben von medizinischen Cannabis-Produkten, lag bei diesen allerdings nur bei etwa 7 Prozent.
Hausärzte wiederum hätten zwischen 32 und 39 Prozent aller Cannabis-Medikamente verschrieben, machten allerdings nur ein Viertel der eingegangen Meldungen aus. Die Daten der Erhebung sind also nicht vollständig und geben auch keine realistische Versorgungssituation wieder. Zudem betont das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dass zu einem Beleg der Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis-Arzneimitteln die Durchführung klinischer Studien nach international anerkannten Standards erfolgen müsse, was die Begleiterhebung zum Einsatz von medizinischem Cannabis nicht erfülle. Als eine klinische Studie sei sie allerdings auch zu keinem Zeitpunkt geplant gewesen.
Schon in der Vergangenheit wurden mehrfach kritische Stimmen und Sorgen in Bezug auf medizinisches Cannabis beziehungsweise die größere Verbreitung von solchen Produkten genannt, auch mit Hinblick auf die geplante „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizensierten Geschäften“ der regierenden Ampel-Koalition. Neben einer möglichen Überschätzung und zu hohen Erwartungen an die Wirksamkeit der medizinischen Cannabis-Produkte verweisen die Krankenkassen auch die hohen Kosten und die damit verbundene finanzielle Belastung der solchen. So wurde allein im Erhebungszeitraum zwischen 2017 und 2022 mehr als 90.000-mal medizinisches Cannabis auf Rezept verschrieben. Zudem bleibt abzuwarten, wie sich die notwendig werdenden Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und des Arzneimittelgesetzes (AMG) diesbezüglich auswirken werden.
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Jahrgang 1981 aus Straßbourg, ist als freier Journalist für verschiedene Online-Medien in ganz Europa unterwegs – Schwerpunkte sind die Bereiche Finanzen, Immobilien und Politik. Seine fachliche Expertise sammelte er als Berater für Global Player sowie Mittelständler. Fournier studierte Wirtschaft und Deutsch in Paris und Dresden. Zur Zeit lebt er im Saarland und verstärkt seit Anfang 2019 das Euro Leaders-Team.