Zuerst mal eine gute Nachricht – WHO und chinesische Ärzte haben anhand einer Studie mit etwa 30 Corona erkrankten schwangeren Frauen keine Übertragung auf das Neugeborene festgestellt. Auch haben alle Wöchnerinnen ihre Infektion inzwischen überstanden.
Die Sicherheitsmaßnahmen in Krankenhäusern werden indes jedoch höhergefahren – teilweise darf nicht einmal der Vater zur Geburt anwesend sein. Und auch die Bindung von Personal und Betten an den Intensivstationen geht zum Nachteil der werdenden Familien. Was Sie jetzt wissen müssen, anhand eines Erfahrungsberichts aus der letzten Woche.
Ehemann darf Geburt nicht mehr beiwohnen
Julia Böttner* kommt aus einer Metropolstadt in Nordrhein-Westfalen und ist seit 1 Woche Mutter eines gesunden Jungen. Der Weg von der Geburt bis zur Wiederkehr nach Hause war allerdings der schwerste ihres Lebens. „Als ich starke Wehen hatte, fuhr mein Mann mich zum Krankenhaus“, so Böttner. „Wegen Corona war alles abgesperrt vorm Hospital. Da, wo sonst die große Schwingtür ist, lief ein langes rot-weißes Band. An einer Seitentür stehen Security und eine Empfangsschwester in Schutzkleidung. Vollmontur“, erzählt die 34jährige.
Sie wird zum Kreißsaal durchgewunken, ihr Ehemann allerdings an der Tür abgewiesen. Begründung: Infektionsgefahr – keiner, der zur Aufrechterhaltung des medizinischen Betriebs nicht erforderlich sei, darf mehr hinein. Dass die Anwesenheit des Ehemanns psychologisch ungemein entlastend ist, zählt in diesen Zeiten nicht.
Besonders bei einem Kaiser- oder Notkaiserschnitt. Den Julia Böttner nicht zu bekommen hoffte. „Erst sah alles gut aus, doch dann gab es Aussetzer bei den Herztönen des CTG. Es ging bis 80 herunter, und erst durch viel Mühen, Positionswechsel, wieder herauf.“ Die Ärzte behalten Böttner über Nacht da, es ist ihre erste Geburt, sie fühlt Panik und weiß nicht auf die neuen Situationen zu reagieren.
Zentrale CTG-Überwachung fällt aus
Dann, am zweiten Tag, kommt es fast zum Notfall – das zentrale Überwachungssystem ist während der Frühschicht ausgefallen. Das bedeutet, dass man auf dem Monitor 1 Entbindenden nicht mehr auch die Überwachungswerte der restlichen Patientinnen in den Kreißsälen einsehen kann, und zentral auch nicht.
Es setzt sich nun im Abstand von ein paar Minuten jeweils eine Hebammenschülerin ans Bett von unter anderem Julia Böttner, um die Messkurven zu betrachten. Bei der Übergabe zur Nachmittagsschicht wird diese Information vom Personal jedoch nicht weitergegeben – Julia Böttner weiß inzwischen, welche Werte im Display was darstellen und drückt den Notfallknopf, als sie in den kritischen Bereich absacken.
„Ich war mein eigener Arzt während dieser Stunden“, erinnert sich die Westfälin, die in diesem Krankenhaus selbst zur Welt kam und es auch deshalb in gutem Glauben auswählte. „Irgendwann stand die Oberärztin der Station im Zimmer – gut erkennbar an der sich unterscheidenden Kleidung. Sie klärte mich über die Risiken des Kaiserschnitts auf und dass es leider notwendig wäre, diesen durchzuführen.“
Das (Second)-Worst-Case-Szenario wird Realität. Julia Böttner hat nur noch kurz Zeit, eine Nachricht an ihren Mann und ihre Eltern zu senden, die aus allen Wolken fallen, und dann wird ihr schon ein Katheter gelegt und sie für die Anästhesie fertiggemacht.
Besetzung auf der Wochenstation notdürftig
Der Kaiserschnitt verläuft sehr gut, die Narbe ist sehr weit unten angesetzt. Auch das Kind, Magnus, ist vollauf gesund und plagt sich in den ersten Tagen nur mit einer typischen Neugeborenengelbsucht. Für Julia Böttner gehen die Schwierigkeiten jedoch jetzt, auf der Wöchnerinnenstation, erst los.
„Ich konnte mich nicht von allein bewegen. An Laufen war nicht zu denken, Aufstehen mit durchtrennten Bauchmuskeln – vergessen Sie es“, beschreibt sie ihre ersten Gefühle. Die erste Drehung im Bett gelingt ihr am dritten Tag mithilfe eines kräftigen Pflegers, sich allerdings um ihr Kind im Beistellbett zu kümmern, das schafft sie nicht auch noch.
„Die ersten Erfahrungen mit einem Baby, wie Wickeln, Schmusen oder Halten, waren mir und meinem Mann nicht vorbehalten. Das hat immer die Nachtschwester machen müssen. Am ersten Tag durfte ich noch relativ bequem den Notfallknopf drücken, ab dem zweiten musste ich mich mühsam im Bett drehen und eine vierstellige Nummer in ein altes Telefon tippen, die sich auch noch jede Nacht ohne mein Wissen geändert hat.“
Bis eine Schwester kommt, muss sie lange warten. Besonders auf die Schmerzmittel – die es vom Krankenhaus auch erst nach nachweislichen Schmerzen gibt. Julia Böttner wiegt nach der Geburt 51kg, und hätte gerne auch präventiv welche bekommen. Wegen Corona werden jedoch nach und nach viele erfahrene Schwestern abgezogen, und abteilungsfremde Aushilfen eingesetzt.
Bis zuletzt auch die Betten reduziert werden. Julia Böttner muss am dritten Tag nach der Geburt die Heimreise antreten, ihr wird um 11 eine Frist von 1h dafür gegeben. Für eine Person, die kaum laufen kann, viel zu wenig. „Mein persönlicher Tiefpunkt am Tag der Abreise war zur Frühstücksausgabe, wo ich gegenüber einem Pfleger den Wunsch nach einem Wasser äußerte. Wasserflaschen gab es auch 2 Räume weiter für alle Patienten, weswegen sich eine Schwester zu sagen bemüßigt fühlte: >>Die wird heute entlassen, das kann die sich schön selbst holen<<“.
Was sagt ein Anwalt für Geburtsschadensrecht dazu?
Wir haben mit einem Rechtsanwalt gesprochen, der mit seinen Kanzleien in Frankfurt und Köln unter anderem auf Geburtsschadens-, Medizin- und Versicherungsrecht spezialisiert ist. Der Anwalt vertritt seit Beginn seiner Tätigkeit ausschließlich PatientInnen bzw. Versicherungsnehmer.
„Wir begegnen derzeit Änderungen in unserem Zusammenleben, die die stärksten Einschnitte seit mehr als einem Jahrhundert in Deutschland darstellen“, eröffnet er. „Medizinische Notsituationen markieren die Gründe für diese Veränderungen, und mit ebenfalls medizinischen Notsituationen enden sie. Das stellt Krankenhäuser in enorme Verantwortung, und schiebt ihnen sehr oft auch den Schwarzen Peter zu.“
Aktuell würden alle nicht-lebenswichtigen Maßnahmen wie Hüft-OPs verschoben, bei Geburten ist dies natürlich nicht möglich. „Jeder Frau, die an der Pforte eines Krankenhauses wegen einer Entbindung klingelt, muss eingelassen werden. Ausnahmen stellen voraussichtliche Frühgeburten dar, nach deren Feststellung ggf. ein Krankentransport in ein anderes Hospital mit einer Kinderklinik organisiert wird.“
Werdende Mütter auf sich allein gestellt?
Doch wie sieht es nach der Aufnahme aus, in Krankenhäusern, die wegen einer Intensivstation voller Covid19-Erkrankter ihre restlichen Abteilungen schwächen? Sind Engpässe wie im Beispielfall geschildert, dann Risiko der werdenden Mutter?
„Deutsche Krankenhäuser arbeiten mit gesetzlich verordneten Schlüsseln. Das bedeutet, dass pro Arzt eine bestimmte Aufgabentätigkeit oder auch eine zu betreuende Patientenzahl nicht überschritten werden darf. Auch im Kreißsaal muss sich mindestens zu jeder Tag- und Nachtzeit 1 ausgebildete Hebamme befinden, Notärzte und Anästhesisten in Rufbereitschaft sein.“
Zum Fall von Julia Böttner meint der 43jährige: „Die Reduzierung von Betten und Personal und in dessen Folge die Entlassung von halbwegs genesenen Patientinnen muss medizinisch vertretbar sein. Hier haben wir es sicher mit einer Sondersituation zu tun. Hingegen ein No-Go die Sache mit dem zentralen CTG-Monitoring. Und zwar nicht die temporäre Inaktivität – das wurde in der Frühschicht noch manuell gelöst.
Jedoch stellt das Ausbleiben dieser für die Beobachtung der Patientinnen essenziell wichtigen Information an die Nachmittagschicht eine eklatante Pflichtverletzung dar. Wenn es hier wegen unterlassener CTG-Auswertungen zu Schäden gekommen wäre, hätten sich die Verantwortlichen hier schadensersatzpflichtig gemacht.“
Es ist ein Fall, der den Rechtsanwalt zum Kopfschütteln bringt, ihn so aber leider nicht das erste Mal erlebt. „Auf der einen Seite müssen Krankenhäuser – schon seit Jahrzehnten – mit sich verknappenden Mitteln arbeiten, weswegen man fallweise abwägen muss. Die unterlassene Kommunikation zwischen den Mitarbeitern zum vorhersehbarem Nachteil der Patientinnen hat jedoch damit nichts zu tun. Hier wurden Menschenleben riskiert.“
*Name von der Redaktion geändert
Quellen:
Interview Julia Böttner
Terminee auf https://www.tauer-rechtsanwaelte.de/rechtsgebiete/geburtsschadensrecht/
Jahrgang 1991 aus Münster, ist Redakteurin bei Euro Leaders. Als Volontärin bei einer Mediengruppe sammelte sie erste journalistische Erfahrungen und baute diese im Laufe ihrer Karriere als freie Mitarbeiterin für diverse Online-Medien und der Tagespresse weiter aus. Jacobs studierte Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt European Cultures and Society in Norddeutschland. Sie lebt mit ihrem Partner und den Hunden Chester und Baki im östlichen Ruhrgebiet.